Die chemische Kommunikation mithilfe von Geruchsstoffen spielt eine zentrale Rolle für marine Organismen. Die Wahrnehmung dieser Signalmoleküle ist für Meerestiere so wertvoll wie für uns Menschen das Sehen und Hören zusammen! Meine neuesten Forschungsergebnisse zeigen, dass Ozeanversauerung diese wichtigen Signalstoffe erheblich verändern kann (http://bit.ly/297S8ps).
Signalstoffe sind chemische Moleküle, die von Meerestieren entweder absichtlich, z.B. von Weibchen zum Anlocken von Männchen, oder zufällig bei natürlichen Abbauprozessen, wie der Zersetzung von Eiweiß, freigesetzt werden. In beiden Fällen können sie von anderen Meerestieren genutzt werden, um sich anhand des Geruchs zu orientieren.
Stell dir vor, du bist eine kleine Krabbe und lebst zwischen vielen großen und kleinen Felsen und Gezeitentümpeln an einer unwirtlichen Küste, die ständig den Wellen und Gezeiten ausgesetzt ist. Die einzige Möglichkeit, dein Mittagessen zu finden, besteht darin, es schon aus der Ferne zu riechen. Dummerweise gilt das aber auch für den Oktopus, der auf der Jagd nach dir ist. Du als kleine Krabbe, bist also zusätzlich darauf angewiesen, den Oktopus als erstes zu riechen, um nicht selbst gefressen zu werden. Was, wenn das alles nicht mehr funktionieren würde?
Vom Menschen verursachte CO2 Emissionen haben in den letzten 100 Jahren bereits zu einer Reduzierung des pH-Wertes in den Ozeanen um 0.1 Einheiten auf pH 8.1 geführt. Bis zum Jahr 2100 ist eine weitere Ozeanversauerung der Oberflächenschichten um bis zu 0.4 Einheiten auf pH 7.7 prognostiziert. Das mag auf den ersten Blick nicht viel erscheinen, reicht jedoch aus, um nachweislich die Leistungsfähigkeit, den Stoffwechsel, die Physiologie, die Fortpflanzung und das Verhalten verschiedenster Meeresorganismen von großen Haien bis hin zu kleinstem Plankton zu beeinflussen.
Peptide als Schlüsselfaktor
Viele Moleküle, die den Geruch von der Geruchsquelle zu einem Meerestier transportieren, reagieren potenziell sensitiv auf pH Veränderungen. Das gilt vor allem für Peptide und Proteine, die z.B. von Krabben, Seepocken und Muscheln genutzt werden. Peptid-Signalmoleküle spielen eine wichtige Rolle, wenn es darum geht Nahrung, Fressfeinde oder den besten Platz zum Niederlassen zu finden oder während der Brutpflege auf die Larven aufzupassen. Die Frage ist, ob die Reduzierung des pH-Wertes diese Peptide unbrauchbar machen könnte.
Die Wahrnehmung von Signalstoffen bzw. Gerüchen erfolgt bei Meerestieren über Rezeptoren. Diese sitzen normalerweise in der „Nase“. Krabben „riechen“ allerdings mit ihren Antennen und mithilfe von Rezeptoren an ihren Fußspitzen, Damit eine Krabbe Signalstoffe wahrnehmen kann, müssen zwei Bedingungen erfüllt sein:
1. Die einzelnen Teile des Geruchsmoleküls müssen richtig angeordnet sein, also die richtige „Konformation“ haben.
2. Die Ladung des Moleküls muss stimmen, also positive und negative Teile müssen an der richtigen Stelle sein.
Durch die Ozeanversauerung scheinen aber sowohl die Konformation als auch die Ladung der Geruchsmoleküle beeinflusst zu werden.
Um die Struktur und Konformation von Peptid-Signalstoffen genauer zu erforschen, wird eine Technik namens Kernresonanzspektroskopie genutzt. Damit man sich aber wirklich ein Bild der Signalmoleküle in heutigen und zukünftigen pH Bedingungen machen kann, sind Computermodelle notwendig. Basierend auf den Messwerten der Kernresonanzspektroskopie und quantenchemischer Gleichungen lässt sich die Konformation und Ladungsverteilung der Geruchsmoleküle in heutigem pH 8.1 und zukünftigem pH 7.7 errechnen und sichtbar machen.
Computermodelle machen Veränderung sichtbar
Die Abbildung unten zeigt drei Geruchsmoleküle, die dem Signalstoff ähneln, den Krabbenembryos nutzen, um mit dem Muttertier zu kommunizieren. Während sie in ihren Eiern unter dem Bauch der Mutter hängen, setzen die Krabbenbabys diesen Geruch frei, sobald sie mehr Sauerstoff, Ventilation oder Hilfe beim Schlüpfen benötigen. Die Moleküle sind zum einen so abgebildet, wie sie unter heutigen pH Bedingungen aussehen würden (links), und zum anderen unter den voraussichtlichen pH Bedingungen im Jahr 2100 (rechts). Die Geruchsmoleküle in heutigen Bedingungen sind relativ kompakt und haben klare negative (blau) und positive (rot) Ladungsteile, während sie in zukünftigen Bedingungen eher weniger kompakt und vor allem positiver geladen sind. Diese Veränderungen passieren genau in dem pH Bereich, der mit der Ozeanversauerung bis zum Ende dieses Jahrhunderts erwartet wird. Da sowohl die Konformation als auch die Ladung der Moleküle verändert wird, kann davon ausgegangen werden, dass Ozeanversauerung einen deutlichen Effekt auf die Wahrnehmung von Geruchsstoffen haben wird.
Ob Meerestiere in niedrigeren pH Bedingungen die Geruchsstoffe trotzdem noch riechen können, kann man mithilfe von Verhaltensbeobachtungen testen. Dazu verfolgt man das Verhalten der Tiere, in meinem Fall Strandkrabben (Carcinus maenas), vor und nach Zugabe des Geruchsstoffes. In normalen pH Bedingungen (pH 8.1) reagieren die Weibchen nach Zugeben des Signalstoffes mit einem vermehrten Fächeln (= Ventilieren) der Eier durch ruckartiges Pumpen mit dem Schwanzende. Wie das aussieht zeigt das Video (http://bit.ly/2mw8l3c). Wenn man die gleichen Tests in niedrigerem pH durchführt, z.B. pH 7.7, wie für das Jahr 2100 prognostiziert, ist keine deutliche Reaktion der Strandkrabben auf den Signalstoff mehr festzustellen. Diese Beobachtung deutet darauf hin, dass die Signalmoleküle mit zunehmender Ozeanversauerung nicht nur verändert werden, sondern dadurch auch ihre Funktion verlieren.
Die in meiner interdisziplinären Studie verwendete Kombination von Computersimulationen mit chemischen und biologischen Methoden hat einen neuen Mechanismus aufgedeckt, mit dem die Effekte der Ozeanversauerung auf molekularer Ebene und die Konsequenzen für die Molekülfunktion sichtbar gemacht wurden.
Was bedeutet das jetzt genau?
Die untersuchten Signalmoleküle sind Beispiele für eine Klasse chemischer Stoffe, die auch dafür bekannt sind, eine Rolle bei der Ansiedlung von Seepocken- und Austernlarven, dem Finden neuer Häuschen-Schalen bei Einsiedlerkrebsen und der Brutpflege unterschiedlicher Krabben und Krebse zu spielen.
Wenn alle Geruchsmoleküle in gleicher Weise betroffen wären, wie die Peptide in der vorliegenden Studie, würde die chemische Kommunikation im Meer vermutlich größtenteils zusammenbrechen. Das wäre vergleichbar mit einer Welt ohne Licht und Geräusche für uns Menschen. Glücklicherweise sind aber nicht alle Signal- und Geruchsstoffe gleich, sondern arbeiten unterschiedlich. Die chemischen Eigenschaften und die Funktionsweise jedes einzelnen speziellen Signalstoffs bestimmen am Ende, ob Krabbe oder Oktopus etwas zum Mittagessen finden. Im Moment wissen wir noch viel zu wenig über Geruchsmoleküle und ihre Funktionsweisen im Ozean, um die übergreifenden Effekte abschätzen zu können. Weitreichende Konsequenzen dieses neu entdeckten Mechanismus für Ökosysteme sind jedoch zu erwarten und sollten dringend erforscht werden.
Christina Roggatz (Profil)
P.S.: Vielen Dank an Dr. D. M. Benoit, Prof. M. Lorch, Dr. J. D. Hardege und dem Team von VIPER an der University of Hull, die diese Forschungsarbeit ermöglicht haben und E. Roggatz für ihre Unterstützung bei diesem Artikel.