Was machen wir also wirklich? Spannende Frage, besonders wenn man sich für den Alltag des Berufs interessiert. Fangen wir mal ganz von vorne an: Ein braver Wissenschaftler gehört weder auf ein Boot, noch in ein Uboot oder auf eine Buschsafari. Brave Wissenschaftler halten sich dort auf, wo ihr Schreibtisch steht! Da wir den so ausgiebig nutzen, haben wir eventuell sogar mehrere davon. Der Arbeitsalltag eines Forschers beginnt irgendwann zwischen 7 und 9 Uhr damit, dass der Computer angeschaltet wird! =)
Alles beginnt mit ausgiebigem Lesen
Sobald drängende Emails oder Anrufe abgearbeitet sind, widmet man sich den drei großen Themen unseres Berufes: Lesen, Schreiben oder Rechnen. Es kann also gut sein, dass wochen- oder monatelang nichts weiter passiert, als dass man möglichst viele Informationen über ein Thema zusammenträgt (-> Lesen). Dazu sieht man sich frühere Projekte von Kollegen an und stöbert in Daten und Aufsätzen zum gewählten Thema. Wenn ich persönlich den ganzen Tag lang konzentriert Projektberichte lese, gehe ich mit fiesen Kopfschmerzen nach Hause. Aber das macht nichts, denn idealerweise habe ich mir ein Thema ausgesucht, das mich interessiert und mir Spaß macht. Und „Spaß“ bedeutet, dass ich Kopfschmerzen oder ähnliches willig in Kauf nehme.
Zum fortgeschrittenen Zeitpunkt habe ich genug Infos gesammelt, um darauf aufbauend meine eigenen Forschungsfragen auszuarbeiten (-> Schreiben). Welche Fragen möchte ich beantworten? Wie viel Zeit brauche ich dazu? Wie viel Geld wird das kosten? Wer soll mitarbeiten? Ich schreibe einen Antrag, der all diese Punkte enthält und bete darum, dass mein Professor/Professorin oder der Geldgeber (z.B. Forschungsgemeinschaft) meinen Antrag annimmt. Spätestens in dieser Phase schläft man recht unruhig, weil die Zukunft der eigenen Arbeit an dem Antrag hängt.
Nächster Schritt: Proben sammeln
Gehen wir davon aus, dass mein Antrag nach kleineren Änderungen zugelassen wurde. Nachdem ich bis hierhin nur theoretisch gearbeitet habe, beginnt nun der praktische Teil. Ich schaffe die Proben herbei, die ich brauche, um meine Fragen zu beantworten. Eine „Probe“ kann je nach Frage so ziemlich alles sein: einzellige Algen, ein Stück einer Fischflosse, ein Stück einer Koralle, Larven eines Seeigels, kleine Ruderfusskrebse, die Anzahl von Eiern in Nestern von Seeschwalben… Wie und was man da genau sammelt, muss man sich vorher eventuell wegen dem Naturschutzgesetz genehmigen lassen.
Sobald ich meine verschiedenen „Proben“ habe, wende ich (Mess- oder Analyse-) Methoden an, um meine Forschungsfrage zu beantworten. Damit meine späteren Ergebnisse anerkannt werden, muss ich auch eine anerkannte Messmethode verwenden und diese sauber ausführen. Wenn ich ein absoluter Profi bin, kann ich auch selbst entwickelte Methoden anweden, ABER bevor ich das darf, muss ich der weltweiten Gemeinschaft von Wissenschaftlern genau erklären, was ich da mache und warum meine Methode nachweislich sogar genauer oder besser ist. Das ist nämlich der Trick an der Geschichte: Experimente oder Messmethoden müssen weltweit nachvollziehbar und wiederholbar sein.
Ergebnisse gewinnen an Beweiskraft, wenn mehrere unabhängig arbeitende Teams feststellen, dass sie die gleichen Ergebnisse erhalten. In der Praxis lösen wir das so, dass wir möglichst einheitliche Methoden in unserem Fachgebiet verwenden, damit man die Ergebnisse vergleichen kann. Wenn das hier einer von meinen wissenschaftlichen Kollegen liest, könnte er sich darüber beschweren, dass ich diesen Vorgang vereinfacht dargestellt habe. Das ist richtig - denn mit den genauen Abläufen und der Vergleichbarkeit von Ergebnissen könnte man locker ein paar Bücher füllen.
Forschung hält eine Vielzahl von Methoden bereit
Ganz kurz noch einen Einblick in ein paar Methoden: Das reicht vom einfachen zählen, wiegen, Größe messen oder Gestalt aufzeichnen zu heute angesagteren Methoden wie z.B. die DNA aus Zellen herausholen, Aktivität der Photosynthese messen, Wärme/Kälte-Behandlungen, Fortkommen in einer Meeresströmung berechnen, Wanderwege von größeren Tieren aufzeichnen, Mageninhalte, Blutanalysen, Räuber-/Beute-Beziehungen, Krankheiten und Parasiten, Analysen zum Proteingehalt, chemische Inhaltsstoffe einer Substanz ermitteln… die Möglichkeiten sind unendlich und hängen sehr stark vom Forschungsgebiet und vom aktuellen Projekt ab. Hier kann ich es vielleicht nochmal anbringen: kuscheln mit Delfinen oder ausgedehnte Erkundungstouren mit einem Uboot zählen nicht zu unseren Methoden.
Zurück an den PC: Jetzt wird gerechnet
Je nach Methode und Anzahl der ursprünglichen Proben stehe ich spätestens jetzt mit einem Riesenhaufen an Daten da. Nun geht es schnurstaks zurück an den Schreibtisch! Nun ist es ähnlich wie zuvor mit den Analysemethoden: ich schnappe mir einige anerkannte Statistikprogramme (Achtung: stark vereinfacht!) und mache mich daran, in tage- und monatelanger Kleinstarbeit, die Daten zu überprüfen und nach Unterschieden oder Mustern zu suchen (-> Rechnen). An dieser Stelle reden wir wieder über die Kopfschmerzen, die ich eingangs beschrieben habe. Aber wenn es mit der Statistik rund läuft, macht es eben auch „Spaß“.
Sobald ich genug Daten beisammen habe, um eine (oder besser mehrere) Forschungsfragen zu beantworten, schreibe ich einen englischen Aufsatz über meine Arbeit, der weltweit von Wissenschaftlern gelesen werden kann. In unserer Sprache heißt das Paper („Papier“) und der Ort der Veröffentlichung heißt Journal („Zeitschrift“). In einer (möglichst angesehenen und viel gelesenen) wissenschaftlichen Zeitschrift präsentiere und diskutiere ich meine Fragen, meine Analysemethode und die Ergebnisse.
Bis so ein Paper geschrieben und veröffentlicht ist, vergehen erneut mehrere Monate. Bevor mein Aufsatz in einer Zeitschrift gezeigt wird (gedruckt oder online), müssen zwei unabhängige, anonyme Kollegen beurteilen, ob ich meine Sache korrekt gemacht habe. Erst wenn diese Hürde überwunden ist, kann ich eine „Veröffentlichung“ feiern. Die Anzahl der „Veröffentlichungen“ ist die wichtigste Zahl im Leben eines Forschers, weil daran der Erfolg im Beruf gemessen wird. Zudem ist es auch wichtig, wie viele Kollegen bei ihrer Suche nach Hintergrundinfos auf die eigene Arbeit Bezug nehmen. Ein sehr erfolgreicher Forscher hat also viele Aufsätze veröffentlicht und viele Kollegen beziehen sich bei ihren Projekten auf seine Arbeit.
Fachtreffen und Unterrichten
Damit uns an unserem Schreibtisch nicht zu langweilig wird, treffen wir uns ab und zu mit unseren weltweiten Kollegen. Auf Fachkonferenzen werden dann die neuesten Ergebnisse und Methoden besprochen und man stärkt alte Kontakte und knüpft ein paar neue, um vielleicht in der Zukunft zusammenzuarbeiten (für ein Paper). Eine andere Gelegenheit, um den Arbeitsplatz zu verlassen, ist das Unterrichten. Der wissenschaftliche Nachwuchs an den Universitäten soll möglichst praktisch und am Besten von Vorbildern lernen. Daher unterrichten Forscher/Forscherinnen auch Kurse über ihr Fachgebiet und fragen das vermittelte Wissen in Prüfungen ab. Als junger Forscher darf man beim Unterrichten bereits helfen, indem man in praktischen Kursen als Assistent arbeitet oder kleinere Gruppen selbstständig beim Einüben des Wissens betreut.
"Wissenschaft" muss man üben
Wenn ihr bis hierhin gelesen habt, sollte bei euch ein guter Überblick über den wissenschaftlichen Alltag entstanden sein. Es gehört viel Disziplin, Motivation und Toleranz gegenüber Frustration zu unserer täglichen Arbeit. Auch wenn man als Meeresforscher hin und wieder den Strand oder das Meer zu sehen bekommt: unsere Tätigkeit ist ohne Schreibtisch und Computer undenkbar. Um das wissenschaftliche Arbeiten einmal auszuprobieren, empfehle ich sehr gerne die Teilnahme an einem Schülerwettbewerb wie „Jugend forscht“. Dort lernt man im Kleinen genau kennen, wie ein wissenschaftliches Projekt verläuft und ob man „Spaß“ an der wissenschaftlichen Arbeitsweise hat. Auch vor dem Schreiben auf Englisch sollte man keine Angst haben. Bis es soweit ist, hat man ausreichend Gelegenheit zum üben.
Liebe Grüße,
Lisa
P.S.: Wie immer - schreibt unserem Team bei Fragen und Kommentaren entweder hier, auf Facebook oder per Mail ;). Habt ihr euch so den Alltag vorgestellt? Ich bin gespannt darauf von euch zu hören!